Donnerstag, 4. Juli 2013

Das Dilemma des christlichen Wählers

Die Tage der konkreten "Wahlempfehlungen" von der Kanzel herab sind vorbei, niemand wird ihnen nachweinen. Es gibt ohnehin keine Partei mehr, die ein genuin christliches Profil hätte. Um festzustellen, dass die CDU einmal das Erbe der katholischen Zentrumspartei antrat, muss man heute schon zu archäologischen Methoden greifen, die bloße Lektüre von Parteiprogrammen reicht da kaum.
Kardinal Meissner empfahl neulich dennoch, diese nach Wahlen und Koalitionsverhandlungen ohnehin wertlosen Werbebroschüren, nach Christlichem abzuklopfen, und seine Wahlentscheidung danach auszurichten. Aber wo soll man seine Prioritäten setzen?

Lege ich zum Beispiel höchsten Wert auf die Fragen, die ans "Eingemachte" des christlichen Menschenbildes rühren, wird es schwer. Am heißen Eisen Abtreibung etwa will sich in der einen Partei bestenfalls niemand die Finger verbrennen, in der anderen gilt sie als gutzuheißendes Mittel der reproduktiven Selbstbestimmung. Setze ich einen Schwerpunkt bei Stammzellenforschung, finde ich bei der CDU Widersprüchliches und bin bei den Grünen gut aufgehoben, die jedoch wieder die reproduktive Selbstbestimmung vehement propagieren.

Die Parteienlandschaft ist aber nur ein Teil des Problems. Bei näherer Betrachtung bieten offizielle kirchliche Verlautbarungen kaum Orientierungshilfe. Nehmen wir zum Beispiel erneut Kardinal Meissner: dieser sorgte unlängst für die üblichen medialen Empörungswellen, als er sich erdreistete ein veraltetes Familienmodell zu propagieren. Er hatte es gewagt, die Einverdiener-und Mehr-als-1,2-Kinderehe zu empfehlen.
Nun ist das mit der Einverdienerehe heute ein so eine Sache: Rechnet man nämlich sämtliche Sozialabgaben, direkten und indirekten Steuern, Zuschläge, Umlagen und Gebühren zusammen, so wird das Einkommen eines Durchschnittsverdieners locker mit über 60% belastet. Sprich: wir sind längst wieder bei Zuständen wie im frühen zwanzigsten Jahrhundert, als Einverdienerhaushalte ein gutbürgerlicher Luxus waren. Und das liegt nicht an böser kapitalistischer Ausbeutung und Lohndrückerei, wie auch kirchliche Sozialverbände gerne verkünden. Ein durchschnittliches Bruttoeinkommen würde sehr wohl reichen, um eine Kleinfamilie auskömmlich zu versorgen. Was davon übrig bleibt, nachdem der Staat abgebucht und Preise in die Höhe besteuert hat, ist das Problem. Wenn der Erzbischof von Köln den staatlichen Zwang zum Doppelverdienen und Kinderverkrippen einerseits anklagt und gleichzeitig einige Tausend durch staatliche Zwangsabgaben subventionierte Kindergärten und Tagesstätten betreibt, also ganz konkret zu dem beklagten Zwang beiträgt, fragt man sich als christlicher Wähler auf der Suche, was man denn wollen sollte. Es lässt sich weder an Meissners Taten, noch an seinen Worten erkennen. Ich bin beinahe geneigt, die EKD zu beglückwünschen, bekennt diese sich doch freimütig zur eigenen Desorientiertheit in Familienfragen.

Man steht also vor dem Problem, dass in den einen Fragen keine Partei wählbar ist und in den anderen ganze Abgründe zwischen kirchlicher Verkündigung und kirchlichem Handeln klaffen. Wie man vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis  kommen kann, nicht zu wählen sei Sünde, das soll mir mal einer erklären. Die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub ist keine christliche, und wo Unentschlossenheit oberhirtlich verkündet wird, kann man als Christ offensichtlich nicht wählen.


(Das Beispiel mag mehr oder weniger gut gewählt sein. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass kirchliche (sozialpolitische) Verkündigung und (sozialstaatliche) kirchliche Praxis der letzten Jahrzehnte erheblich zu dem System beigetragen haben, das heute den Familien die Luft zum atmen nimmt und sie entmündigt. Auch nichts an der, dass man hier in der Praxis eine Familienpolitik vorantreibt, die man in der Verkündigung kritisiert.)

1 Kommentar:

  1. Vielleicht gehören aber ja (ich weiß es leider nicht) diese Kinderkrippen zu denen, in denen Kinder etwas von christlichen Werten hören statt von der Schönheit einer Homo-Verbindung? Schön wäre es!!!

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