Donnerstag, 20. Juni 2013

Neuer Puritanismus- Reinlichkeit statt Reinheit

Das Auge Gottes in zeitgenössischer Darstellung


Neulich verwies ich bereits auf einen Artikel von Thea Dorn auf zeit.de, in dem sie sich mit dem modernen Tugendterror auseinandersetzt. Was ist damit gemeint?

Es geht hier etwa um Rauchverbote, mit denen der Staat in die Privatautonomie von Gaststättenbetreibern eingreift, um Leute, die nicht dazu gezwungen sind rauchgeschwängerte Kneipen zu betreten, durch Zwang zu schützen. Oder um ständige Forderungen nach der Verteuerung von Fleisch und die nahezu täglichen Aufrufe seinen Verzehr wenigstens stark zu reduzieren. In Dänemark etwa versuchte man sich bereits an einer "Butterprohibition" durch Strafsteuern, und es wird wohl nicht mehr lange dauern bis an Todesanzeigen erinnernde, schwarz umrandete Warnhinweise die Packungen zieren:
"Das Gesundheitsministerium warnt: Butter kann fettig sein!"

Der Bürger kommt in den Köpfen einiger Politiker nur noch vor als störrisches, unmündiges Kind das mit Scheuklappen  versehen sanft aber bestimmt durch die Quengelgasse gezerrt werden muss. Er muss durch Warnhinweise vor den teuflischen Einflüsterungen der Werbung geschützt und zu seinem  Besten  statt ins Laufställchen auf's Laufband gestellt werden. Man muss ihn vor sich selbst schützen, am Besten stellt ihm der Amtsarzt den Einkaufszettel zu und legt die zu dauerlaufende Tageskilometerzahl fest.

So ärgerlich und illiberal dieses Menschenbild ist, so faszinierend ist es auch:
Die altbekannten Untugenden sind wieder da, nur in säkularem Gewand und mit Aufklärerpose. Völlerei zum Beispiel heißt heute Übergewicht und hängt mit der Trägheit, sprich: der Sportmuffeligkeit zusammen. Sein Gewissen erforscht der moderne Mensch mit der Kalorientabelle. Er holt sich Ablässe im Fitneßstudio  und kasteit sich mit der Schritttzählerapp. Was ist da geschehen?

Nun spricht nichts gegen ein vernünftiges Körper- und Gesundheitsbewusstsein. Paulus bezeichnete den Körper als Tempel des heiligen Geistes, erklärte ihn also zu einem "sakralen Ort". Daran ist bemerkenswert, dass die sogenannte Leibfeindlichkeit des Christentums also keine solche ist, sondern die Warnung vor einer Profanierung der Heiligkeit des Körpers, besonders durch eine rein physisch-funktionale Betrachtung, etwa der Sexualität.

Genau eine solche funktionale Sicht liegt dem zeitgenössischen Körper- und Gesundheitskult aber zugrunde. Das zeigt sich an einem Begriffswandel: das englische Wort "sport" heißt ursprünglich "Spaß". Bei körperlicher Aktivität standen nicht Muskelaufbau und Fitness im Vordergrund- also das rein Physische- sondern die Freude die etwa Tennisspielen mit Freunden bereitet, der seelische Aspekt kam nicht zu kurz. Heute ist Sport zur Arbeit am eigenen Körper verkommen, er ist eine Pflicht, die man sich selbst und der Solidargemeinschaft gegenüber zu erfüllen hat.

Ebenso sieht es mit der Ernährung aus. Fasten ist heute eine ganzjährige, alltägliche Pflicht ohne geistlichen Aspekt. Auch hier steht wieder eine rein funktionale Betrachtung des Körpers im Vordergrund. Auch hier wieder die maßlose Genussfeindlichkeit.

"Wenn Fasten, dann Fasten. Wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn" formulierte die heilige Theresa von Avila das christliche Ernährungsprogramm. Es gibt Zeiten der Askese und Besinnung, und es gibt Zeiten des Genießens und Feierns, die in ihrer Komplementarität die geistliche Betrachtung des Körperlichen erst möglich machen: weil ich faste, weiß ich den Genuss eines Festmahls zu schätzen. Weil ich manchmal schlemme, verzichte ich beim Fasten bewusst aufs Genießen, um andere Dinge in den Blickpunkt zu bekommen.

Diese Ausgewogenheit fehlt bei der modernen, obsessiven Beschäftigung mit Körperfett und Pulsfrequenz. Im Tempel des Körpers residiert nur das Ich. Den Wert hat der Körper durch sein Funktionieren: er ist attraktiv und volkswirtschaftlich verwertbar. Aus der Reinheit ist penible Reinlichkeit geworden- ein seelenloser Puritanismus, der durch zunehmende Gängelung den Leuten aufgezwungen wird.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen